Dienstag, 28. Juli 2009

Warum sich Motorradfahrer gegenseitig grüssen

Um die Zeit mal etwas zurückzudrehen...

... der Soziussitz war gerade hoch genug, daß ich meinem Vater über die Schultern schauen konnte. Mein Vater und ich fuhren zusammen über viele Straßen... auf der Suche nach denen, die wir zuvor noch nicht gefunden hatten. Wir fuhren die Straßen entlang, allein um zu schauen, wohin sie führen. Niemals in Eile, zum Abendbrot wieder zu Hause. Ich erinnere mich, als mein Vater und ich wieder mal auf einer dieser Landstraßen fuhren. Auf meinem Thron sitzend, sah ich die Bäume vorbeiflitzen und fühlte das Grollen des Motors unter uns wie eine grosse, zufrieden schnurrende Katze.

Ein Motorrad kam über einen Hügel in unsere Richtung und als es an uns vorbeifuhr, nahm mein Vater die Kupplungshand vom Lenker und grüsste. Der andere Motorradfahrer winkte zurück, mit dem selben freundlichen Schwung seiner linken Hand. Ich tippte meinem Vater auf die Schulter, was unser Signal war, daß ich was zu sagen hatte. Er drehte seinen Kopf leicht zurück, behielt die Augen auf der Straße... Ich rief "Kanntest Du ihn?" "Was?" "Du hast Ihn gegrüßt... wer war das?" "Ich weiß es nicht. Nur ein anderer Mann auf einem Motorrad...also habe ich Ihn gegrüßt." "Warum?" "Tu es einfach...es ist wichtig."

Später, als wir angehalten hatten, um ein Eis zu essen, fragte ich Ihn, wieso es so wichtig ist, andere Motorradfahrer zu grüßen. Mein Vater versuchte mir zu erklären, daß es Kameradschaft und ein gegenseitiges Verständnis zeigt, was es heißt das Motorradfahren zu genießen. Er suchte nach den Worten um zu beschreiben, daß alle Motorradfahrer mit den selben Widrigkeiten, wie Kälte, Regen, Hitze, Wind und unaufmerksamen Autofahrern, die sie nicht wahrnehmen, kämpfen; und warum es aber dennoch ein einzigartiger Genuß ist, Motorrad zu fahren.

Ich war damals jung und ich bin mir nicht sicher, ob ich damals wirklich verstanden habe, was er mir sagen wollte, aber es war der Anfang von etwas Besonderem. Seitdem grüßten mein Vater und ich immer gemeinsam, wenn uns ein anderes Motorrad entgegenkam.

Ich erinnere mich an einen kalten Oktobermorgen mit vielen dunkeln Wolken, was einen weiteren Anhaltspunkt gab, daß der Winter gerade über den Horizont hineinzieht. Mein Vater und ich fuhren im warmen Auto zum Haus eines Freundes. Als wir an einer Kreuzung abbogen, sahen wir ein Motorrad an der Straße abgestellt. Hinter dem Motorrad sahen wir den Fahrer durch das hochgewachsene, schon etwas angefrorene Grass des Straßengrabens laufen. Mein Vater drehte den Wagen und hielt bei dem Motorrad an. Ich fragte ihn..."Wer ist das?" - "Ich weiß es nicht" antwortete er... "aber er scheint etwas verloren zu haben. Vielleicht können wir ihm helfen."

Wir verließen das Auto und liefen durch das hohe Gras zu dem Motorradfahrer. Er sagte, daß er an seinen Handschuhen wären der Fahrt gezogen hat und er einen verloren hat. Wir durchkämmten den Straßengraben einige Zeit zu dritt, aber alles was wir fanden waren leere Dosen und Flaschen. Mein Vater drehte sich dann um, ging zurück zu unserem Auto und öffnete es. Er wühlte sich durch verschiedene Werkzeuge, Ölkanister, dies und das, bis er ein paar alte, zerknitterte Lederhandschuhe gefunden hatte. Dann suchte er weiter, bis er noch eine alte Zeitschrift fand. Ich wußte was er mit den Handschuhen vorhatte, aber ich hatte keine Idee, für was er die Zeitschrift brauchte. "Hier sind ein paar Handschuhe" sagte mein Vater, als er sie dem Motorradfahrer gab..." und hier ist auch noch eine Zeitung. "Danke, ich weiß das sehr zu schätzen." Er griff in seine Tasche und zog eine alte Geldbörse heraus. "Lassen sie mich ihnen etwas Geld für die Handschuhe geben" sagte er. "Nein danke" antwortete mein Vater "Sie sind nichts mehr Wert und auch schon alt". Der Motorradfahrer lächelte. "Vielen Dank." Er zog die alten Handschuhe an und öffnete seine Jacke. Ich sah wie mein Vater ihm die Zeitung gab, und er sie unter die Jacke steckte. Er schubste sie etwas herum, schob sie nach oben, tat sie in die Mitte und zog den Reißverschluß wieder zu. Jetzt wußte ich welchen Sinn es macht, ihm die Zeitschrift zu geben- sie wird ihn ein kleines bißchen wärmer halten. Wir wünschten ihm noch alles Gute und sind dann weitergefahren, als er sein Motorrad warmlaufen ließ.

Zwei wochen später stand dieser Motorradfahrer von unserer Tür und brachte die Handschuhe zurück. Er hatte unsere Adresse auf der Zeitung gefunden. Weder mein Vater noch der Motorradfahrer schienen weiter darüber nachzudenken, daß mein Vater an der Straße für einen Fremden angehalten hatte und ihm ein paar Handschuhe gab und daß dieser Fremde dann dafür sorgte, daß diese Handschuhe auch zurückgebracht werden. Das sind alltägliche Ereignisse für Leute, die Motorrad fahren. Für mich war dies eine weitere Lektion.

Es war im Frühjahr des nächsten Jahres, als ich wieder hoch auf meinem Thron saß, die Felder beobachtete die an uns vorbeirauschten und zwei Motorräder sah, die uns entgegenkamen. Als wir sie passierten, grüßten mein Vater und ich aber die beiden Fahrer behielten Ihre Sonnenbrillen stur auf die Straße gerichtet und erwiderten unseren Gruß nicht. Ich erinnere mich, daß ich dachte, daß sie uns gesehen haben mussten, denn unser Gruß war zu offensichtlich um ihn zu übersehen. Warum grüßten sie dann nicht zurück? Ich dachte, alle Motorradfahrer grüßen einander... Ich tippte meinem Vater auf die Schulter und rief..."Wie kommt es, daß sie nicht zurückgegrüßt haben?" "Ich weiß es nicht. Manchmal grüßen sie nicht zurück." Ich erinnere mich, daß ich damals ziemlich verwirrt war. Warum sollten manche Leute nicht zurückgrüßen?

Im nächsten Sommer war ich dann endlich alt genug um zu lernen, wie man ein Motorrad mit Kupplung fährt. Viele Nachmittage habe ich auf einem Feldweg in der Nähe verbracht, kickend und kickend um die alte Maschine meines Vaters zu starten. Wenn sie dann endlich lief, fokussierte sich meine Konzentration alleine auf die Kupplung, als ich versuchte diese langsam genug kommen zu lassen um uns einen geschmeidigen Start zu liefern. Aber meistens gab es nur einen Ruck vorwärts und ich begann wieder zu versuchen, den Motor anzukicken.

Schließlich hatte ich meinen eigenen Führerschein und begann die Straßen auch alleine zu bereisen. Ich habe öfter am Straßenrand angehalten, wenn ich einen einzelnen Motorradfahrer stehen gesehen habe, nur um zu schauen, ob er vielleicht Hilfe braucht. Und ich grüßte auch weiterhin die anderen Motorradfahrer. Das Thema, wieso manche Fahrer nie zurückgrüßten, beschäftigte mich aber weiterhin. Es füllte mich fast mit einem Gefühl von Ablehnung, wie wenn man jemandem die Hand schütteln will, diese Person aber einfach die Hände hängen läßt. Ich begann meine Freunde über das Grüßen zu befragen. Ich fragte Leute bei Motorradtreffen, was sie darüber denken. Die meisten der älteren Fahrer sagten, daß sie andere Fahrer grüßen und oft den freundlichen Luft-Handschlag initiierten wenn sie an anderen Fahrern vorbeifuhren.

Ich habe auch Fahrer getroffen, die sagten, daß sie nicht grüßen, weil sie sich anders als andere Motorradfahrer fühlen. Sie fühlten sich als eine "besondere Gruppe". Ein Mann erzählte mir in einer eher bildlichen Sprache, daß er "keine Weicheier" grüßt. Er sagte dann noch, daß seine Art von Motorradfahrern hart und unabhängig sind und weder Hilfe brauchen noch wollen, egal ob sie Motorrad fahren oder nicht. Ich vermute, daß das die Art von Leuten sind, die sich ein Motorrad gekauft haben, zum das härter, unabhängiger und ich-gebe-mich-nicht-mit-irgendwelchen-normalen-Leuten-ab Image zu bekommen. Aber ich glaube das trifft auf die wenigsten Motorradfahrer zu.

Die Leute kaufen Motorrader aus verschiedenen Gründen. Manche können Dir ziemlich schnell sagen, was es für ein Motorrad ist, was es gekostet hat und wie schnell es ist. Markenloyalität ist für manche Leute sehr wichtig, egal ob es eine Harley, Ford, ein Sony oder was auch immer ist... Manche Leute wollen ein Image kaufen und die Aufmerksamkeit von einer anderen Person auf sich zu lenken. Aber das funktioniert nicht dauerhaft. Und dann gibt es da noch die Leute, die wirklich eine "besondere Gruppe" sind. Sie schätzen die Kunst und die Technik an den Maschinen die sie fahren. Ihre Motorräder sind ein Teil ihrer selbst. Es ist ihnen egal, was andere Leute denken. Es ist ihnen egal ob irgendjemand weiß was sie für die Maschine bezahlt haben oder wie schnell sie fährt. Das Motorrad bedeutet für sie etwas, wie nichts anderes. Sie fahren für sich selbst und nicht für irgendjemand anderen. Es ist Ihnen auch egal, ob irgendjemand weiß, daß sie ein Motorrad haben oder nicht. Sie finden vielleicht nicht die Worte, um zu beschreiben was es heißt, Motorrad zu fahren, aber sie wissen es. Sie finden vielleicht nicht die Worte, um zu beschreiben, wie sich die gleichmäßige Beschleunigung und die Kraft die dahinter steckt, anfühlt, aber sie verstehen es.

Das sind die Motorradfahrer, die ihr Motorrad abstellen, ein paar Schritte weggehen und dann inne halten. Sie drehen sich um und schauen zurück. Sie sehen etwas in ihren Maschinen, was Du vielleicht nicht siehst. Etwas viel komplexeres, fast geheimnisvolles, eher gefühlt als es wissend. Sie sehen ihre Leidenschaft. Sie sehen ein Teil von sich selbst. Das sind die Fahrer, die wissen, wieso sie andere Motorradfahrer grüßen. Sie genießen den Gruß. Er symbolisiert die Verbindung unter den Motorradfahrern und wenn sie dich an dem Straßenrand stehen sehen, halten sie an um Dir zu helfen, ohne nach deinem Namen zu fragen. Sie wissen womit Du es zu tun hast, sobald du mit deinem Motorrad auf der Staße bist. Mit Autofahrern die dich übersehen, dich schneiden, zu dicht auffahren und mit den Schlaglöchern die in der Straße lauern und auf dich warten. Mit dem Regen. Und mit der Kälte.

Ich habe jetzt über 30 Jahre auf meinem Motorrad gefroren und geschwitzt. Die meisten Motorradfahrer die an mir vorbeifuhren erwiderten einen freundlichen Gruß. Ich freue mich, wenn ich sehe, daß ein jüngerer Fahrer auf einem "Reiskocher" oder einem "Joghurtbecher" an mir vorbeifährt und dabei grüßt. Junge Fahrer die die Tradition weiterführen. Ich werde weiterhin versuchen mit einem simplen Gruß alle Motorradfahrer ein bißchen näher zusammenzubringen. Und wenn sie nicht zurückgrüßen, strecke ich meine Hand noch etwas weiter aus, wenn sie an mir vorbeifahren und muss schmunzeln. Vielleicht haben sie einfach verkannt, wer hier eine "besondere Gruppe" ist.

6 Kommentare:

  1. ...schön zu lesen, großes Lob!

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  2. Wirklich eine schöne Geschichte!
    Auch ich werde weiterhin soviel grüßen wie möglich ;)

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  3. Vielen Dank für diese wunderbare Geschichte :-)

    Sonnige Grüsse aus Luxemburg :-)

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  4. Sehr schön und einfühlsam beschreibst Du worum es geht.
    Auf diesem weg bleiben und einfach weitergrüßen!
    Die "kupplunghand" hebt:
    SG

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  5. Hier noch ein netter Link zum Thema:
    http://www.mcz-bern.ch/seiten/motorradgruss.html

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  6. ein schöner beitrag zu dem thema, und vor allem: lesenswert geschrieben! danke dafür

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Hallo, ich freue mich über jeden Kommentar.